Predigt vom Sonntag, 4. Mai 2025

Pfarrer Markus Perrenoud

 

Liebe Gemeinde

Meine Grosseltern mütterlicherseits waren Bauern. Bei vielen von uns ist das ja so:
wir leben in der Stadt oder Agglo, haben wenig bis nichts mit Landwirtschaft zu tun –
aber wir müssen nur ein wenig in unserer Familiengeschichte graben, und schon
taucht da eine bäuerliche Abstammung auf.

Bei mir war es eben meine Grosseltern mütterlicherseits. Die lebten in Buchsi, zu
deutsch: Herzogenbuchsee, ein Dorf in der Nähe von Wangen an der Aare. Dort
hatten sie einen Hof mit dem schönen Namen «Geisshubel» – da sieht man vor dem
inneren Auge gleich die Geislein springen! Der Hof stand auf einer kleinen Anhöhe,
ein typisches Berner Bauernhaus: ein ausladendes Dach, breite Balkone mit Geranien,
eine Laube mit einem Bänkchen, wo man nach getaner Arbeit ins Land schaut, und
natürlich ein Stöckli für den Lebensabend.

In meiner Kindheit haben wir auf dem Geisshubel ab und zu Ferien gemacht. Für uns
Kinder war das immer ein Abenteuer: wir erkundeten alle Ecken, spielten auf dem
Heuschober, stiegen hinunter in den dunklen Keller, wo die Kartoffeln lagerten. Das
Allerheiligste aber war das Schlafzimmer der Grosseltern: ein etwas düsterer Raum –
schwere Möbel – ein breites Bett – der Blickfang war ein grosses Bild, das über dem
Bett hing – heute würden wir sagen: ein alter Schinken.

Darauf abgebildet war Jesus als guter Hirte – sicher kennen Sie das Motiv: ein junger
Mann, lange Haare, weiches Gesicht, blauer Mantel – auf seinem Schoss sitzt ein
schneeweises Lamm und rund um ihn herum viele Schafe. Heute würden wir sagen:
etwas gar kitschig – aber für mich als kleiner Bub war das damals sehr eindrücklich, ja
geradezu heilig. Jedes Mal, wenn ich in das Schlafzimmer meiner Grosseltern ging,
war es wie ein kleiner Gottesdienst.

Ich wurde ganz andächtig und dachte mir: genauso muss der liebe Gott sein! Gütig, stark, beschützend – da ist jemand, der mich sieht, der auf mich aufpasst – der mich an der Hand nimmt.

Unterdessen ist viel Zeit vergangen – vieles hat sich verändert – meine Grosseltern
sind schon lang gestorben – auch mein Kinderglaube hat sich verabschiedet – an seine Stelle sind erwachsenere Gedanken über Gott getreten – demütiger und bescheidener, das Geheimnisvolle hat da viel mehr Raum.

Trotzdem würde ich sagen: in der Tiefe meines Herzens ist Gott dieser gute Hirte geblieben. Nicht nur darum, weil damit viele biblische Geschichten und Erinnerungen verbunden sind, sondern weil diese Bild etwas ganz Wesentliches unseres Glaubens trifft:

Glauben heisst im Kern: darauf zu vertrauen, dass wir in unserem Leben geführt werden. Zuerst einmal ist das etwas völlig Kontra-Faktisches: Was sehen wir, wenn wir unser Leben und die Welt anschauen? Ganz viel Zufälliges und Schicksalhaftes – Dinge geschehen, die wir nicht verstehen können – Kräfte wirken, die uns ganz ohnmächtig machen. Unser Leben dauert 70 Jahre, wenn es hoch kommt 80 Jahre. Schnell blitzt es auf – schnell vergeht es wieder – nichts bleibt zurück. Die Welt dreht weiter ihre Bahnen, als wäre nichts gewesen – in einem kalten, dunkeln und weitgehend leeren Universum.

Der Glaube sagt uns: nein, das ist nicht alles – da gibt es noch viel mehr! Hinter und
über all dem Zufälligen und Schicksalshaften gibt es noch eine andere Macht, eine
gute Macht, eine persönliche Macht. Es gibt ein Du – dieses Du können wir ansprechen – es spricht zu uns – es begleitet und durchs Leben – gibt uns eine Richtung und einen Sinn. Jedes Mal, wenn wir „Unser Vater im Himmel“ beten, bekennen wir genau das: Der Himmel ist kein kalter und leerer Ort – es gibt da einen Vater, eine Mutter, einen Name, ein Reich, einen Willen. Genau darum geht es im Bild vom guten Hirten – und genau darum spricht uns dieses Bild so an.

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