Ein Ort gelebter Utopie
«Kirche ist wichtig – aber für andere». So könnte man die Ergebnisse einer Studie zusammenfassen, die nach der Wahrnehmung der Kirchen fragt und dieses Frühjahr herauskam. «Kirche ja, aber bitte nicht zu nah.»
Wen wundert’s? Die Zeit der grossen Institutionen scheint vorbei. «Ich glaube, aber ich brauche dafür keine Kirche», so höre ich manchmal. Und verstehe es, aus persönlicher Perspektive. Aber ich meine, hier liegt ein Missverständnis vor, nämlich dass Kirche irgendwie abstrakt sei. Doch Kirche ist konkret. Bestenfalls ein Ort gelebter Utopie. Ein Anders-Ort.
Menschen sitzen am Krankenbett und hören zu. Wir schweigen oder summen mit Verzweifelten. Jemand verschenkt Zeit. Jugendliche erleben im Konf-Unterricht Gemeinschaft ohne Bewertung oder Leistungsdruck. Beim Sommercafé auf dem Kirchvorplatz plantschen Kleinkinder, während ihre Mütter sich austauschen. Meine Kirche heisst alle Menschen willkommen, es wird kein bestimmter Glaube vorausgesetzt.
Ich wünsche mir, dass die Utopie einer bedingungslosen, stärkenden Gemeinschaft wächst und nicht schrumpft. Dafür braucht es viele, die dabei sind. Viele, die Kirche nicht auf Abstand gut finden, sondern die selbst Kirche sind. Angesichts der krassen Weltlage meinen Menschen, das Gute werde verdrängt. Mensch fühlt sich hilflos. Aber ebenso real wie Krisen und Kriege ist das Gute, das wir miteinander gestalten, hier und jetzt.
Vikarin Dorothee Adrian