Tränen willkommen
Ich weiss: Tränen haben keinen allzu guten Ruf in unserer Gesellschaft. Auch ich sollte damals, in den 1980er-Jahren, ein „tapferes Mädchen“ sein, wenn ich hinfiel und mir die Knie aufschlug. Ich lernte: Weinen ist was für Memmen, also für solche, die irgendwie verweichlicht, eben nicht tapfer sind.
Heute sehe ich das anders. Weinen reguliert Emotionen wie sonst kaum etwas. Weinen tut gut. Weinen entlastet.
Neulich, im Gottesdienst, sehe ich Tränen auf dem Gesicht einer Frau. Sie lässt sie einfach fliessen. Das ist selten. Später erzählt sie mir, das Cellospiel sowie die Zusage „So, wie du bist, bist du gut“ habe sie berührt.
Weinen ist wie eine Reinigung von innen. Nichts, wofür wir uns schämen müssen. Schon gar nicht in der Kirche. Denn wo, wenn nicht hier, sollten Menschen Trost finden?
Kürzlich sprach ein islamischer Theologe an der Diplomfeier der Theologischen Fakultät Basel. Er sagte, die Theologie kreise um die Themen Verletzlichkeit, Trost, Liebe und Hoffnung. Amen: so ist es! Niemand muss seine Gefühle zur Schau stellen, der das nicht will. Aber etwas, das uns Menschen miteinander verbindet, ist unsere Verletzbarkeit. Weinen darf sein, finde ich. Auch in der Kirche: Tränen willkommen. Bestenfalls können wir einander dann trösten.
Dorothee Adrian, Vikarin
