Selbstverliebt?

«Liebe deinen Nächsten wie dich selbst» – das ist ein bekanntes Wort von Jesus.
In unseren modernen Zeiten wird es gerne so ausgelegt, dass darin nicht nur von der Nächstenliebe, sondern auch von der Selbstliebe die Rede ist: Meinen Nächsten kann ich nur lieben, wenn ich mich selber liebe. Das ist eine schöne Auslegung, ich habe nichts dagegen. Ich frage mich nur, ob Jesus das wirklich so gemeint hat. Von ihm stammt ja auch der Satz: Wer sein Leben liebt, der verliert es, wer es aber hasst, der wird es gewinnen. Da hören wir einen ganz anderen Ton heraus. Einen Ton, der davon erzählt, dass zum Leben auch der Verzicht, das Opfer, sogar die Selbstaufgabe gehören. Dafür gibt es viele Beispiel: Feuerwehrleute, Polizistinnen und Soldaten machen das so, auch Mütter und Väter – eigentlich alle Menschen, die über ihren Nasenspitz hinausdenken. Sie stellen ihr eigenes Leben hintan, um das Leben anderer zu schützen. Auch Jesus hat das so getan. Nach christlichem Zeugnis hat er sein Leben gegeben, um unseres zu retten.

Das bringt mich ins Studieren: Übertreiben wir es vielleicht manchmal mit der Selbstliebe? Haben wir vergessen, dass echte Liebe immer auch das Absehen von sich selber einschliesst? Wäre es also nicht an der Zeit, die Tugend der Selbstbescheidung wieder neu zu ehren? Ich bin kein Prophet, wage aber doch die Prognose: davon wird unsere Zukunft hier auf Erden abhängen. Wir wollen hoffen, dass auch da die Verheissung von Jesu gilt: wer sich selber verliert, der wird sich gewinnen.

Pfarrer Markus Perrenoud