Geschwisterkisten
Predigt am 26. Januar 2025 im KGH
Pfarrer Markus Perrenoud
Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern im Geiste
Der Titel unseres Gottesdienstes lautet «Geschwisterkisten», es soll heute also um unsere lieben Schwestern und Brüder gehen. Das ist ein grosses Thema und oft auch ein nerviges Thema. Forscher und Forscher haben herausgefunden, dass Geschwister im Kindesalter durchschnittlich alle 10 Minuten miteinander streiten – so viel zum Einstieg ins Thema!
Auch wenn Geschwister oft streiten, gehören sie doch zu den dauerhaftesten Beziehungen in unserem Leben. Freundschaften und Partnerschaften können wir auswählen – und wenn es sein muss auch wieder beenden. Unsere Eltern sind älter als wir – es kommt eine Zeit, wo sie sterben. Aber unsere Schwestern und Brüder bleiben – und auch wenn wir nur wenig oder gar keinen Kontakt haben, so sind sie doch da. Es gibt ein unsichtbares Band, das uns verbindet.
Umso überraschender ist, dass in der Psychologie die Geschwister lange Zeit sehr stiefmütterlich behandelt wurden. Psychologen wie Sigmund Freud haben sich vor allem auf die Eltern-Kind-Beziehung konzentriert, die fanden sie für die kindliche Entwicklung am wichtigsten. Dass ein Kind im Durchschnitt viel mehr Zeit mit seinen Geschwistern verbringt als mit seinen Eltern, das ging dabei völlig vergessen. Erst in den letzten Jahrzehnten gab es da ein Umdenken.
In der Bibel ist das ganz anders – was einmal mehr zeigt, was für ein kluges und erfahrungssattes Buch sie ist. Denn über weite Strecken ist die Bibel ein Buch über Geschwister. Ich bin sicher, dass Sie aus dem Stegreif ein paar biblische Geschwister aufzählen könnten: Kain und Abel, Jakob und Esau, Josef und seine Brüder etc. Mit all diesen Namen verbinden sich Geschichten – und das Interessante ist: keine dieser Geschwister-Geschichten ist frei von Spannung. Da gibt es Neid und Eifersucht, da gibt es Zwietracht und Streit, da gibt es im schlimmsten Fall sogar Mord und Todschlag. Es sind also sehr ambivalente Geschichten – und das ist das Erste und Wichtigste, was wir von unseren Geschwistern lernen können: dass wir Menschen ambivalente Wesen sind. Da gibt es nicht nur schwarz oder weiss, da gibt es viele Grautöne dazwischen – manchmal liebenswert und manchmal nervig – damit muss man umgehen können – was für eine wichtige Lektion! In diese biblischen Geschwistergeschichten tauchen wir jetzt ein – aus der grossen Fülle habe ich vier ausgewählt.